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© UNO Agenda 2030

NOTHING TO LOSE - Songwritingprozess zum Thema Kinderarmut

 written by Raphaela Shalman

1. EINLEITUNG

Im Rahmen der Lehrveranstaltung „Laboratory for Music Research“ an der Jam Music LAB University setzten sich die Studierenden mit dem Thema Nachhaltigkeit im Bereich Jazz- & Popularmusik auseinander. Aufgabenstellung war die Entwicklung und Fertigstellung eines Artistic Research Projektes zum Thema Nachhaltigkeit mit Bezugnahme auf die UNO-Agenda 2030.

Die Einladung der Singer-Songwriterin und Autorin Raphaela Shalman (Künstlername: RONJA*) zur im November 2020 stattfindenden Benefizgala „Gemeinsam Kinderarmut abschaffen“, jährlich veranstaltet von der Volkshilfe in Wien, dient als Rahmen dieses künstlerischen Forschungsprojektes. Die 2005 ins Leben gerufenen Benefizgala dient der nachhaltigen Unterstützung armutsgefährdeter Kinder in Österreich durch eine Spendenaktion und das Vorhaben, Kinderarmut in Österreich längerfristig gänzlich abzuschaffen. Die Autorin wurde beauftragt, einen musikalischen Beitrag für diese Gala zu schaffen, dessen Entstehungsprozess in diesem Beitrag nachgezeichnet wird. Dabei wird ein besonderer Fokus auf die enge Beziehung zwischen kompositorischer Arbeit und dem kontinuierlich wachsenden kontextualen Wissen der Autorin/Komponistin gelegt.

1.1. Persönliche Aspekte und Gedanken der Künstlerin

Das Thema Nachhaltigkeit begleitet mich von meiner Kindheit an bis heute. Meine Eltern zogen auf´s Land, um als Selbstversorger zu leben. Ich bin anfänglich ohne Bad, mit Trockentoilette in einem alten Bauernhaus aufgewachsen. Meine Eltern, beide leidenschaftliche Idealisten und Gründer des Vereins „Für die Erde für das Leben“, beschäftigten sich intensiv mit der Kultur der Hopi-Indianer. Sie setzten sich für ihre Friedens- und Umweltbewegung ein und versuchten schon damals, in den 80ern, die Menschheit „wachzurütteln“. Am 22.11.1993 nahm mein Vater Alexander Buschenreiter als freier Journalist an der UN-Konferenz „Cry of the Earth“ teil. Sieben indianische Delegationen aus den USA, Kanada und Mexiko traten im Saal des UN-Wirtschafts- und Sozialrates in New York City auf und präsentierten mündlich überlieferte Prophezeiungen, die sich auf die aktuelle Situation von Erde und Menschheit beziehen. Der Aufruf nach einem Leben in Einklang mit der Natur, nach einem nachhaltigen Lebensstil, ein Leben für unsere Kinder und Kindeskinder, ein Aufruf nach Veränderung und der Notwendigkeit eines Richtungswechsels war schon damals in dieser UN-Konferenz großes Thema. Mein Vater berichtet in seinen Büchern über Hopi-Indianer darüber. 

Meine Geschwister und ich, wir waren mitten drin: bei den Versammlungen, den Zeremonien, in den Häusern der Hopi, bei Ihren Tänzen und Trommelgesängen, in Arizona, dem Südwesten der U.S.A.. Unsere Eltern wollten, dass wir die Hopi (und andere Indianerstämme), ihre Art zu leben, zu denken und zu fühlen, selbst spüren und persönlich kennen lernen - dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Diese Begegnungen, die wir damals gemacht und die Freundschaften, die wir geschlossen haben prägen mich noch heute: Diese Bescheidenheit, in denen diese Menschen leben, teilweise ohne Strom und ohne Wasserklosett, diese Ruhe & Kraft, diese Weisheit von innen heraus und dieses tiefe Bedürfnis, im Einklang zu sein. Als wir zurück nach Österreich kamen, fühlte ich mich plötzlich so reich, so im Überfluss, so voll und zugleich so sinnlos, nichtssagend und leer.

Sind wir aus dem Gleichgewicht gekommen? Sehnen wir uns nach einem nachhaltigen Lebensstil?

Vor zwei Jahren habe ich unseren Sohn Aleksej geboren. Die Geburt meines Sohnes hat mich verändert, meinen Fokus mehr auf die wesentlichen, wirklich wichtigen Dinge im Leben gelegt: Liebe, Geborgenheit, Zufriedenheit und die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder.

1.2. Fight for Earth

Den Song „Fight for Earth“ schrieb mein Mann Pavel Shalman während ich schwanger war. Der Song soll auf die prekäre Situation der Dritte-Weltländer und die Zerstörung unseres Planeten aufmerksam machen. Im Chorus singen wir gemeinsam, dass wir alle zusammen gehören und wir nur diese eine Erde haben, und für diese Erde macht es Sinn, sich gemeinsam stark zu machen. „Fight for Earth“  wurde mit unserer Band Global Groove LAB wenige Monate nach der Geburt unseres Sohnes im Juni 2018 veröffentlicht.

2. ZIEL UND FORSCHUNGSFRAGEN

Der Auftrag zum musikalischen Schaffensprozess einer Komposition mit darauffolgender Präsentation im Rahmen der Gala basierte auf dem Grundgedanken „Gemeinsam Kinderarmut abschaffen“. Der Auftrag stellte die Künstlerin vor die Herausforderung, sich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen und ihre persönlichen Gedanken und Reflexionen darüber in die künstlerische Performance einfließen zu lassen. Inwiefern sollte sich die künstlerische Performance verändern, um das Publikum für dieses Thema zu emotionalisieren? Mit welchem Songmaterial, im speziellen mit welchem Textmaterial, macht es Sinn zu arbeiten? Wird die Recherchearbeit genug künstlerische Inspiration bringen? Ist es möglich, einen Song zum Thema Kinderarmut zu schreiben, ohne den Song zu plakativ wirken zu lassen oder gar aus dem künstlerischen Konzept fallen zu lassen? Ist es möglich, eine neue Methode des Songwritings anhand des Recherchematerials zu entwickeln? Ist es möglich, die künstlerische Integrität zu wahren und trotzdem künstlerisch intensiv auf das Thema einzugehen? Um nicht den Rahmen des Forschungsprojektes zu sprengen, konzentrierte sich die Autorin hier überwiegend auf die Herleitung der Ideensammlung und die Dokumentation des kreativen Schreibprozesses, im besten Fall mit dem Ergebnis eines zum Thema komponierten Songs.

Der Leitsatz der Volkshilfe, „Gemeinsam Kinderarmut abschaffen“ verbindet zugleich auch mit dem ersten Ziel der UNO-Agenda „Armut in allen ihren Formen und überall zu beenden“.  

3. VORGEHENSWEISE

„Unsere Gesellschaften brauchen keine Milliardäre“ Thomas Piketty, französischer Wirtschaftswissenschaftler (Szigetvari 2020: 21)

3.1. Recherche & Ideensammlung

  • Einlesen via Google Search zum Thema Kinderarmut & UNO Agenda 2030
  • Überlegungen zu den Begriffen Reich & Arm: Was bedeutet das? Gab es das schon immer? Ein Gesellschaftsproblem? Erinnerungen an Bertolt Brechts Dreigroschenoper. Entdeckung des Interviews mit dem Starökonom Thomas Piketty im Standard. Gibt es eine Lösung für die Problematik?
  • Auseinandersetzung der Künstlerin mit der persönlichen finanziellen Lebenssituation, Kindheit & Jetzt, Gesprächen mit Freunden & Familie zum Thema Kinderarmut in Österreich
  • Entwicklung von Zitatblöcken mit persönlichen Gedanken

Dank der engen Zusammenarbeit mit der Volkshilfe Wien:

  • Einlesen in die fünfzehnjährige AWO-ISS Studie: Lebenslagen und Zukunftschancen von (armen) Kindern und Jugendlichen in Deutschland
  • Einlesen in die Forschungsarbeit „Die Einführung der Kindergrundsicherung in Österreich. Ein Modell der Volkshilfe“ von Erich Fenninger, Judith Ranftler und Dagmar Fenninger-Bucher.
  • Volkshilfe Flyer & Broschüre: Kinderarmut in Österreich
  • Lesen der Zusammenstellung von Zitaten von Eltern und Kindern, sowie Kurzbeschreibungen von Kindern aus dem Pilotprojekt von Judith Ranftler
  • Vorbereitung auf das Interview, Entwicklung der Themen & Interviewfragen

3.2. Interview mit Judith Ranftler

  • Persönliches Kennen Lernen & Aspekte einer engagierten Person
  • Einstündiges Interview mit aktuellen Fakten und persönlichen Eindrücken von Judith Ranftler

3.3. Interview Auswertung

  • Nachhören des Interviews
  • Zusammenstellung von relevanten Interviewausschnitten die den Songwriting Prozess inspirieren

3.4. Hören, Lesen, Sehen und Fühlen – weg von Fakten, hin zur Emotion

  • Weg von den Zahlen, hin zu den Menschen
  • Emotionalisierung & ganzheitliches Empfinden durch Aktivierung aller Sinne
  • Lesen der Zusammenstellung von Zitaten von Eltern und Kindern, sowie Kurzbeschreibungen von Kindern aus dem Pilotprojekt von Judith Ranftler
  • Sammlung von Bildmaterial
  • Hören der Interviews mit Eltern und Kindern aus dem Pilotprojekt
  • Niederschreiben von Wörtern, Sätzen der Interviews, Zitate die hängen geblieben sind

3.5. SONGWRITING PROZESS

3.5.1. Start: Emotionen niederschreiben, Textideen & Melodien entwickeln

  • Niederschreiben erster Textfragmente
  • Sich zum Klavier setzen, reinfühlen und drauf los singen 
  • Enstehung eines Motivs
  • Enstehungen mehrerer Chorusvarianten (Text & Melodie)

3.5.2. Erstellen eines Fragenkatalogs zu folgenden Punkten

  • Text & Inhalt
  • Melodie & Akkorde
  • Rhythmus, Taktart & Phrasen
  • Form

3.5.3. Entscheidungen treffen & fixieren

  • Beantwortung der Fragen

3.6. Songaufnahme

  • Akustischer Erstentwurf des Songs

3.7. Schlussreflexion

 

4. DARSTELLUNGSMETHODE

4.1. Zitatblöcke der Künstlerin

Anhand von persönlichen Zitatblöcken, wie bereits in der Einleitung ersichtlich, werden die Gedanken, Gefühle und kreativen Überlegungen der Künstlerin von Beginn des Forschungsprojektes bis zum Ende dargestellt.

4.1.1. Zitatblock der Volkshilfe Präsidentin

Der Zitatblock von der Präsidentin Barbara Gross von der Volkshilfe Österreich dient als zusammenfassende Einleitung in die Grundthematik von Kinderarmut in Österreich.

4.2. Bildmaterial & Video Relevanz

Die Veranschaulichung von Bild- und Videomaterial wird bewusst am Anfang als Einleitung in das jeweilige Kapitel oder am Ende als Abschluss bzw. Zusammenfassung eines jeweiligen Kapitels verwendet.

4.2.1. KAPITEL 1 - Bild 1: rot – Armut & Familie

Einstiegsbild ins Kapitel 1 / Themenherleitung & UNO Agenda Ziel Nr.1

Mit dem Einstiegsbild der UNO Agenda 2030 stellt die Künstlerin die Verbindung zwischen dem ersten Ziel der Agenda „Armut abschaffen“, sowie dem Thema Nachhaltigkeit dar und leitet in das Forschungsthema Kinderarmut in Österreich über.

4.2.2. KAPITEL 1 – Video 1: Global Groove LAB „Fight for Earth“

Abschluss des Kapitel 1 / Veranschaulichung der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit & Darstellung des persönlichen Bezugs zum Forschungsthema

4.2.3. KAPITEL 2 – Bild 2: Einladung zur Volkshilfe Benefizgala

Abschluss des Kapitel 2 / Veranschaulichung der Inspirationsquelle / Aufzeigen der künstlerischen Zusammenhänge

4.2.4. KAPITEL 4 – Bild 3: Mädchen - Volkshilfe Wien, Illustratorin Marianne Musek

Einleitung Kapitel 4 / Information & Inspiration

Bild 3 & 4 sind Ausschnitte der Bildersammlung zum Forschungsthema und von der Volkshilfe Wien zur Verfügung gestellt. Sie beinhalten ausgewählte Zitate von armutsbetroffenen Kindern in Österreich die im Rahmen des Pilotprojektes „Kinderarmut abschaffen“ von Judith Ranftler anhand von Interviews zusammengestellt wurden.

Das Zitat: „ Es kommt nie wer zu meiner Geburtstagsparty“, spiegelt die soziale Dimension, einen der vier wesentlich beeinträchtigten Bereiche bei armutsgefährdeten Kindern wider. Im VERSE 2 verwendet die Künsterlin diese Information und macht mit dem Text auf die soziale Isolation & Benachteilung der Kinder aufmerksam.

4.2.5. KAPITEL 8 – Bild 4: Bub - Volkshilfe Wien, Illustratorin Marianne Musek

Abschlußbild / Schlußreflexion

Mädchen und Buben sind gleichermaßen von Armut betroffen, deswegen am Ende die Worte und das Bild eines armutsgefährdeten Buben.

 

5. KINDERARMUT IN ÖSTERREICH

„Wenn der Strom abgeschaltet wird, die Delogierung bevorsteht oder der Wochenendeinkauf sehr schmal ausfällt, verschieben sich alle Prioritäten in einer Familie. Diese existentiellen Belastungen wirken sich unmittelbar auf die Lebensrealitäten der Kinder aus.“ Barbara Gross, Präsidentin Volkshilfe Österreich

Bild 3: Mädchen - Volkshilfe Wien, Illustratorin Marianne Musek

5.1. Wer ist arm?

18 Prozent der unter 19-Jährigen gelten in Österreich als armutsgefährdet, das sind in Zahlen 324.000 junge Menschen (vgl. Statistik Austria 2018: 107). Das bedeutet das jedes fünfte Kind in Österreich armutsgefährdet ist. Als zentrale Informationsquelle über Armut gelten die von der Statistik Austria erhobenen Zahlen.

5.2. Wie wird Armut in Österreich gemessen?

Als Richtwert wird der Einkommensmedian aller Haushalte in Österreich herangezogen. Die Armutsgefährdungsschwelle wird bei 60 Prozent des Medians angenommen und beträgt für 2017 monatlich 1.238 Euro für einen Einpersonenhaushalt (12 Mal pro Jahr). Für jede weitere erwachsene Person im Haushalt erhöht sich die Schwelle um 618 Euro und für jedes minderjährige Kind unter 14 Jahren um rund 371 Euro. Im Jahr 2017 verfügten 14,4 Prozent der österreichischen Bevölkerung über ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle. In verstärkter Weise sind Kinder und Jugendliche davon betroffen (Volkshilfe 2018: 4).

Die Kinder und Jugendlichen leben im Bewusstsein, dass sie keine Verfügungsmacht über materielle Ressourcen haben und sie wissen um ihre Abhängigkeit von den familiären Ressourcen. Das impliziert, dass sie sich mit der vorgegebenen Lebenslage weitgehend zu arrangieren haben (vgl. Horvat/Kromer 2012: 135f).

5.3. Was sind die Konsequenzen von Armut?

Armut bedeutet mehr, als weniger Geld zu haben. Als Voraussetzung für eine adäquate Erfassung der Auswirkungen sozioökonomischer Benachteiligung auf heranwachsende Kinder und Jugendliche gilt die Bezugnahme auf einen kindgerechten Armutsbegriff. Dazu zählen auch die Ermöglichung einer altersentsprechenden Entwicklung und das subjekte Erleben der Minderjährigen (vgl. Holz/Laubstein et al 2012: 6):

Wesentlich beeinträchtigte Bereiche bei armutsgefährdeten Kindern:

  • Die materielle Versorgung (Wohnraum, Nahrung, Kleidung & Partizipation)
  • Die kulturelle Dimension (Zugang zu Bildung, Sprache, Teilhabe an Aktivitäten)
  • Die gesundheitliche Dimension (physische & psychische Gesundheit & Entwicklung)
  • Die soziale Dimension (soziale Kontakte & Beziehungen)

 

6. INTERVIEW MIT JUDITH RANFTLER

Judith Ranftler arbeitet als Sozialarbeiterin und Projektleiterin für das Projekt „Kinderarmut abschaffen“ für die Volkshilfe in Wien. Gemeinsam mit der Vokshilfe entwickelte sie ein Modell der Kindergrundsicherung und brachte das Pilotprojekt dazu ins Laufen. Die Einnahmen der Benefizgala „Gemeinsam Kinderarmut abschaffen“ werden als Unterstützung für die Kinder aus dem Pilotprojekt verwendet.

6.1. Themen 

  • Symposium Kinderarmut und Bildung am 12.10.202
  • Benefizgala Kinderarmut abschaffen 10.11.202
  • Corona, aktuelle Situation der Kinder
  • Modell Kindergrundsicherung / Pilotprojekt zur Kindergrundsicherung

6.2. Fragen

  • Wie kommt es, dass du dich mit dem Thema Kinderarmut ausseinander setzt? Was ist deine persönliche Motivation dahinter?
  • In der Einladung zur Benefizgala schreibt ihr, dass jedes fünfte Kind in Österreich von Armut betroffen ist. Wie kommt ihr zu euren Zahlen und wie wird diese Armut definiert?
  • Welche Menschen sind von Kinderarmut in Österreich besonders betroffen? Und wie geraten diese Menschen in einem Land wie Österreich überhaupt in so eine prekäre finanzielle Lage?
  • In welcher Relation steht Kinderarmut in Österreich im Vergleich zu dritte Weltländern wie Afrika oder Asien bzw. warum sollte ein Sponsor für unsere Kinder hier in Österreich spenden?
  • Was sind die Folgen von Kinderarmut in Österreich?
  • Seit 2005 lädt die Volkshilfe zur Benefizgala gegen Kinderarmut in Österreich. Was konntet ihr bis jetzt erreichen und was hat sich bisher verändert?
  • Wie hat sich die Lage für die Kinder aktuell durch die Corona-Krise verändert?
  • Ihr habt eine Lösung für Österreich und auch bereits ein Pilotprojekt am laufen: Modell Kindergrundsicherung in Österreich. Wie funktioniert das genau? Ist die momentane finanzielle Hilfe vom Staat, wie z.Bsp. die Mindestsicherung nicht genug?
  • Was kann jeder einzelne von uns beitragen, um die Kinderarmut in Österreich abzuschaffen?

 

7.  SONGWRITINGPROZESS

7.1. Notizen zum Thema

  • Was ist vom Material hängen geblieben und könnte möglicherweise relevant als Textmaterial sein?
  • Sammlung von Bild- und Tonmaterial (Kinderinterviews & Porträts) zum Thema

Textfragmente aus dem Interview:

Am Ende des Monats / Konsequenz Soziale Armut / keine Freunde / Niemand kommt zum Geburtstag / Einsamkeit / Außenseiter / Selbstreduktion der Kinder / Neugeborene kommen kleiner auf die Welt etc.

„Ich bin ein sehr impulsiver Mensch, als mir Judith erzählte, dass es Interviewmaterial von den Kindern gibt, hatte ich sofort die Idee die Kinderstimmen beim Konzert zu verwenden. Ich möchte meinen Auftritt mit von mir ausgewählten Zitaten der Kinder starten, ein Intro, wie ein Vogelgezwitscher, aber etwas traurig, kindlich mit viel Sphäre und Hall... Ich werde ausprobieren wie es klingt, wenn die Stimmen am Ende alle übereinander liegen, quasi zueinander kommen und in ein Rauschen übergehen. Dann habe ich die volle Aufmerksamkeit und jeder weiß, worum es geht oder alle sind zumindest verwirrt...“ (RONJA*)

7.2. Umsetzung und Überlegungen zum Songstart

7.2.1. Text & Inhalt

  • Wer bin ich? Wer oder was wird textlich umgesetzt? Aus welchem Blickwinkel wird erzählt? Werden die Kinder, Eltern oder der Text als Erzähler interpretiert?
  • Was wird erzählt? Wird auf eine bestimmtes Kind, eine bestimmte Geschichte oder mehrere Erzählungen eingegangen? Zu wem wird gesprochen?
  • Werden Lösungen zum Thema Kinderarmut präsentiert?
  • Mehre Textvarianten zum Verse und Chorus notieren. Ist eine Bridge oder ein Zwischenteil notwendig?
Erstentwurf Text & Melodie, © artForm Music

7.2.2. Melodie & Akkorde

  • Motivfindung mit Hilfe von Text. Werden einfache oder komplizierte Melodien verwendet?
  • Festlegung der Tonart und der Taktart mittels Einteilung in 4-er Phrasen (Takte) und Festlegung des Schwerpunktes unter Berücksichtigung des Textes. Wo soll die Betonung liegen?
  • Ausnotierung der Melodie und Erstversuch Akkorde.
  • Hookline für den Chorus finden, Festlegung der Länge, Taktart und der Akkorde darüber. Gibt es eine Choruswiederholung. Textvarianten ausprobieren.
  • Welche Akkordqualitäten möchte ich verwenden? Welche Stimmung möchte ich erzeugen?

 

7.2.3. Rhythmus, Taktarten & Phrasen

  • Gerade oder ungerader Ryhthmus? Welche Taktart? Mehrer Taktarten verwenden bzw. notwendig? Konstante Phrasen (4-, 8-, 16-taktig) oder ungerade, verschoben?
  • Mehrer Varianten ausprobieren.

7.2.4. Form

  • Aus welchen Teilen besteht der Song?
  • Gibt es ein Intro, Outro, Soli und/oder eine Bridge?
  • Mögliche Songvarianten überlegen und durchspielen.

 

8. ENTSCHEIDUNGEN TREFFEN

  • Fixierung der Melodie & des Textes.
  • Fixierung der Form / Ablauf des Songs.
  • Titel des Songs festlegen.

8.1. Kurzanalyse & Erklärung zum Song

Bewusst wurde für den Verse und Zwischenteil der 4/4 Takt und für den Chorus, sowie in der Bridge der 6/8 Takt gewählt, ebenso gibt es keine gleichmäßigen Phrasen: der Verse besteht aus 12 und nicht 16 Takten, der Chorus beginnt mit einem Taktwechsel und endet mit einem Taktwechsel, am Ende folgt ein ungleichmäßig wiederholter zweiter Chorus. Die wechselnden, teilweise ungeraden Taktarten und Taktfolgen sollen das Ungleichgewicht, das Hin-und Her in dem die Kinder leben darstellen. Auch die textlich, charakteristisch und dynamisch unterschiedlichen Teile des Songs spiegeln dieses Auf und Ab im Leben der Kinder wider. Der Verse sanft, zärtlich, aber verunsichert: „Isn´t it true that you love me? Isn´t it true that you care for me? Why can´t you give me, what all the others have?”. Hier wird klar, die Kinder wissen, in welcher Lage sie sich befinden. Während im Verse 2 auf die soziale Einsamkeit und die Rolle als Außenseiter, als Randgruppe in den Vordergrund gestellt wird mit: „It is my birthday, no one´s here today. Still I keep on waiting, waiting for some friends to play. Why can´t I live life, like a normal child.” Während im Zwischenteil vor allem auf die Selbstreduktion der Kinder aufmerksam gemacht werden soll: “I´m small, you´re tall. I´m weak, you´re strong. I will lose, you will win. I have nothing, you have everything”. Die Kinder fühlen sich in eine ausweglose Situation gebracht. Der kräftige Chorus ist ein Hilfeschrei mit bitterem Ende: „Tell me the truth, why do I have nothing to lose? Is it my fate that I was born in this world with no grace? Can I ever change a live I was meant to live? Born with no gold. I´m all alone, no one to hold. Why do I feel so cold?“. Was den Verse und den Chorus verbindet sind die unzähligen Fragen die offen sind. Sie drücken Verzweiflung, Unruhe und das Gefühl das etwas nicht stimmt aus.

Bewusst wurde die Melodie und der Text einfach gehalten, Kinder sind nicht kompliziert. Die Akkordwahl hingegen ist teilweise schräg und anders, auffällig das Fmaj7(9/#11) am Ende des ersten und zweiten Verses, sowie das Bm im vierten Takt des Chorus. Interessant, dass im künstlerischen Prozess, ebenso wie die Taktwechsel zwischen Verse und Chorus, auch die Modulation auf Bb im Chorus ganz natürlich entstanden ist. Der Verse beginnt in Bm, traurig und nachdenklich, der Zwischenteil beschränkt sich auf den schrägen Sound des Fmaj7(9/#11), dann die überraschende Wende im Chorus auf Bb Dur im 6/8 Takt, die Bridge als kleine Atempause nur auf „ah“ ohne Text. Der Song endet textlich, rhythmisch und harmoniemäßig dramatisch mit dem doppelten Chorus auf Fmaj7(9/#11) und dem Satz: „Why do I feel so cold?“ Eine Anspielung auf das alleine sein? Auf das Absterben der Emotionen? Auf die Hilflosigkeit der Kinder?

9. SCHLUSSREFLEXION

Durch die gute Zusammenarbeit mit der Volkshilfe Wien wurde der Grundstein für dieses künstlerische Projekt gelegt und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Kinderarmut in Österreich ermöglicht. Eine besonders ergiebige Quelle war das Modell zur Einführung der Kindergrundsicherung in Österreich und das damit verbundene Pilotprojekt, das umfangreiches (Text-) Material in Form von Kinderinterviews, Kinderporträts und nicht zuletzt das Interview mit der Projektleiterin Judith Ranftler bot.

Die Verschriftlichung des Songprozesses im Rahmen der retrospektiv angelegten künstlerischen Forschung führte unweigerlich zum erneuten Überdenken, sozusagen zum Überdenken des gesamten künstlerischen Arbeitsablaufs. Interessant war die Beobachtung, dass im Zuge der thematischen Auseinandersetzung bei gleichzeitiger Überlegung einen Song dazu zu schreiben zunächst Bilder im Kopf der Autorin entstanden waren, bevor der eigentliche Songwritingprozess startete.

Ob und wie eine neue Methode des Songwritings gefunden werden kann, müsste nochmals neu überlegt werden und verlangt vermutlich nach einem Forschungsprojekt, dass sich im Speziellen der Entwicklung einer neuen Songwriting-Methode widmet. Für die Autorin/Komponistin hat sich im Rahmen des künstlerischen Forschungsprojektes jedenfalls neues Textmaterial sowie eine Überlegung zur Erweiterung der Performance mittels Soundeffekten und Einspielungen entwickelt.

„Die Auseinandersetzung mit dem Thema Kinderarmut in Österreich berührt mich nicht nur als Künstlerin, sondern auch persönlich als Mensch. Ich habe viele Gespräche mit Freunden, Eltern und Geschwistern dazu geführt und bin davon überzeugt es ist ein Problem, dass sich durch Generationen zieht und uns schon lange begleitet. Die Idee und der Grundgedanke Lieder darüber zu schreiben und damit den Kindern eine Stimme zu geben, sind mir wichtig. Deswegen werde ich auch künstlerisch am Symposium "Kinderarmut und Bildung" im Oktober teilnehmen. Um mein Publikum für dieses Thema zu emotionalisieren werde ich meine Performance nicht verändern, sondern erweitern. Den Beginn von Nothing To Lose möchte ich mit einem Neugeborenen Schrei starten, gefolgt von einem Drumbeat der wie ein Herzschlag klingt. Dieser Herzschlag wird sich durch den gesamten Song ziehen, er ist das Fundament des Songs - das Leben. Diesen Herzschlag werde ich auch am Schluß als Letztes ausklingen lassen. Ob der Versuch Menschen mit künstlerischen Mitteln für dieses Thema zu emotionalisieren gelingt, wird sich nach meinen Auftritten zeigen.“ (RONJA*)

Bild 4: Bub - Volkshilfe Wien, Illustratorin Marianne Musek

10. QUELLENVERZEICHNIS